Ein Gastbeitrag von Thomas Schenk
Ein Augenzeugenbericht (Video ab Minute 7:30)
Ich beziehe mich hier auf einen Bericht von Stern TV und deren Journalisten, da ich Augenzeuge des Geschehens war, als der Kameramann angegriffen wurde.
Die Lage in Chemnitz am 1. September war angespannt: Nach dem Tod von Daniel H. waren mehrere Demonstrationen angemeldet: „Pro Chemnitz“ und die AfD veranstalteten einen Trauermarsch, die Demo „Herz statt Hetze“ demonstrierte dagegen.
Dies alles ist bekannt und mehrfach filmisch dokumentiert, ich möchte dies hier nicht bewerten.
Was war passiert? Der Demonstrationszug von „Pro Chemnitz“ wurde aufgrund der angespannten Lage von der Polizei am Karl-Marx-Kopf gestoppt. Viele Demonstranten wollten weiter zur Trauerstelle. Dies wurde vorerst nicht gestattet.
Bis dahin blieb die Lage seitens der Demonstranten aber ruhig. Jedenfalls in Relation mit der angespannten Lage in der Innenstadt gesehen. Also: Keine Angriffe auf die Polizei, hier und da Sprechchöre, aber es wurde den Anweisungen der Polizei Folge geleistet.
Brenzlig wurde es, als zwei Wasserwerfer vor die Demonstranten gefahren wurden. Ich weiß nicht, warum diese Maßnahme vorgenommen wurde und ich möchte die polizeiliche Entscheidung auch nicht bewerten.
Fakt ist aber: Jetzt drohte die ohnehin schlechte Stimmung zu kippen. Wut machte sich breit. Wir haben das gefilmt.
Ich dachte mir: Das wird nicht gut gehen! Eskaliert es jetzt? Eine ziemlich brenzliche Situation.
Das erkannte auch die Polizei, die die Demonstranten geschätzt eine Stunde (?) davon abhielt, ihren Weg zur Trauerstelle fortzusetzen. Die Demonstranten wurden aufgefordert, nach Hause „zu ihren Familien“ zu gehen.
Aber: Viele Demonstranten akzeptierten das nicht. Sie wollten weiter wie geplant zur Trauerstelle.
Die Polizei entschied sich nach langer Zeit, die Demo so aufzulösen, indem sie jedem freien Durchgang zur Trauerstelle gewährte. Das führte zur Entspannung der Lage und die Demo war beendet.
Jetzt zu Stern TV!
Wie ging es weiter? Ein Großteil der Demonstranten war bereits nach Hause gegangen, der andere Teil ging zur Trauerstelle. Der Tag war anstrengend. Für die Demoteilnehmer, für die Polizei und auch für uns mit der Kamera.
Zwischen Karl-Marx-Kopf und Trauerstelle, wo der Mordfall geschah, liegt ein Dönerladen, welcher geöffnet hatte.
Die Demo war beendet. Einige – auch ich und Sascha – hatten uns entschlossen: Kamera bleibt jetzt aus, hier herrscht Privatsphäre, die Leute wollen was essen und trinken. Hier wird nicht mehr gefilmt. Punkt.
Also haben auch wir uns hingesetzt, was getrunken, gegessen und uns mit Leuten unterhalten. Der Tag wurde ausgewertet, wir kamen ins Gespräch. Es wurde diskutiert. Meinungen ausgetauscht.
Jetzt an dieser Stelle eine Kamera auszupacken und auf die Leute zu richten wäre für uns ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. Die Leute hätten uns gefragt: Was filmt ihr hier schon wieder?
An der Trauerstelle selbst, die nur wenige Meter entfernt war, wäre es ohnehin aus Pietätsgründen ein Ding der Unvernunft, Leute abzufilmen.
Um es nochmals klar zu machen: Die Demo war beendet. Die Leute gingen zum Dönerladen oder / und zur Trauerstelle, die ein paar Meter entfernt liegt. Sie wollten ihre Ruhe. Kamera aus war jetzt das beste Argument.
Und genau in diesem Moment kommt das Kamerateam von Stern TV! Ich dachte mir, was will der Typ mit der großen Kamera hier am Dönerladen? Die Demo selbst ist vorbei?
Und zack, wurde die Kamera auf die Schulter gepackt und die Reporterin (es waren zwei: Kameramann und Reporterin) stellte Fragen. Fragen, die niemand beantworten wollte.
Es war in dieser Situation für jeden vernünftigen Menschen klar, das jetzt hier an diesem Ort niemand gefilmt werden möchte geschweige „blöde“ Fragen beantworten würde.
Während der gesamten Demo wurde die Presse kritisch beäugt. Das MUSS jedem Fernsehteam klar sein.
Also ihr Journalisten von Stern TV: Wenn euch ein was hätte klar sein müssen, dann folgendes: Hier nochmals mit einer Kamera in die Menge zu gehen, MUSS zwangsläufig zu Ärger führen! Wolltet ihr das? Brauchtet ihr Eure Bilder?
Ich saß daneben, ich habe Euch von der ersten Minute an gesehen!
Und jetzt komme ich dazu, wie IHR es geschnitten habt:
Zusammengefasst in etwa so „Biertrinkende rechte Idioten greifen sofort ein ehrenwertes Journalisten-Team an“…. So habt IHR es geschnitten und gesendet. Und so bleibt es beim Zuschauer im Kopf.
Die Demo war vorbei. Die Leute wollten ihre Ruhe. Es wurde geredet, getrauert, gegessen und getrunken. Also: Privatsphäre. Auch ich und Sascha haben dort unser Bier getrunken. Hättet ihr uns in Nahaufnahme gefilmt, wären auch wir als der Bier-trinkende Mob ins Fernsehen gelangt! Auch die tschechische Journalistin und Bloggerin Šárka Vacková saß dort, wir hatten uns unterhalten. Viele Leute haben sich dort unterhalten, der Tag wurde ausgewertet, das Geschehene irgendwie in Gesprächen verarbeitet.
Es war jetzt Ruhe angesagt! Der Tag war angespannt genug.
Desweiteren war klar, um es Euch nochmals zu sagen: Es war völlig klar, dass an der Trauerstelle NICHT gefimt wird. Es war unerwünscht. Das wurde uns gesagt. Das wurde jedem gesagt. Egal, ob mit Handy oder Kamera. „Bitte macht Eure Kameras aus“, war die klare Ansage.
Daran haben wir uns gehalten – ihr nicht!
Ihr macht die Kamera an! Jeder Mensch mit sowas ähnlichem wie einem Gehirn im Kopf musste wissen: Das geht nicht! Kamera aus! Nach diesem angespannten Tag. Mit diesen ohnehin nervösen und gereizten Menschen. Die Nerven in Chemnitz liegen brach.
Aber das interessiert Euch nicht oder? Da wird eben die Kamera angeschaltet. Und nach mehrfachen Aufforderungen, diese auszumachen, lasst ihr sie natürlich weiter laufen, bis…. ja …. bis ihr Eure Bilder habt. Der Mob. Der rechte Mob der das arme Kamerateam attackiert.
Der Schnitt von der Trauerstelle bis zum Angriff auf den Kameramann zeigt, wie ihr arbeitet. Ihr filmt nämlich dort die ganze Zeit. Immer und immer wieder. Der Angriff auf den Kameramann war beim Dönerladen, der Schnitt suggeriert aber, dass alles eins ist:
Filmaufnahme Angriff des Kameramanns ist gleich Filmaufnahme Trauerstelle. Ist es NICHT. Es ist viel Zeit vergangen von der Aufnahme der Trauerstelle, wo auch ihr schon aufgefordert worden seid, die Kamera auszumachen, bis zum Dönerladen, wo ihr weiter gefilmt habt und schließlich angegriffen worden seid!
Ihr hättet Zeit gehabt, das deeskalierend zu beenden. Zumal sich die Menschen Privatsphäre gewünscht hatten. An der Trauerstelle und am Dönerladen. Niemand hat euch dort erlaubt, zu filmen. Auch wir im übrigen nicht, wir saßen ja auch dort. Privat, nach der Demo.
Warum habt ihr weiter gefilmt? Weil es Euer Recht ist oder weil ihr wisst: gleich knallt es?
Darüber kann man angestrengt nachdenken. Niemand will Euch hier unterstellen, ihr habt Euren Job nicht korrekt gemacht, denn schließlich wolltet ihr nach diesem anstrengenden Tag ja einfach nur mal fragen: „Und? Wie gehts Euch?? Hattet ihr einen guten Tag? Warum ward ihr denn auf dieser DEEEMOOOO??“
Geht’s noch? Soll das Journalismus sein? Das ist längst kein Journalismus mehr und wenn die Lage in der Stadt mehr angeheizt wird, dann sage ich Euch: Ihr seid Mittäter. Eure Bilder haben Auswirkungen, für die ihr Verantwortung tragt.
Ich habe Euren zusammengeschnippelten Mist angeschaut.
Eine sehr verkürzte Story, die mit Journalismus so irgendwie nichts mehr zu tun hat. Aber die Einschaltquote stimmt und das politische Bild der Lage passt perfekt zur Agenda, die ihr verfolgt.
Der Angriff auf das Kamerateam ist zu verurteilen, aber man kann so etwas auch verhindern, indem man ein Verhalten an den Tag legt, das einem ordentlichen Journalismus gerecht wird.